Arbeitgeber darf schon an erstem Krankheitstag Vorlage eines Attests verlangen

Erkrankt ein Arbeitnehmer, so ist der Arbeitgeber berechtigt, bereits am ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu verlangen. Dies stellt das Bundesarbeitsgericht unter Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG klar. Die Ausübung dieses Rechts stehe im nicht an besondere Voraussetzungen gebundenen Ermessen des Arbeitgebers.

Die Klägerin ist bei der beklagten Rundfunkanstalt als Redakteurin beschäftigt. Sie stellte für den 30.11.2010 einen Dienstreiseantrag, dem ihr Vorgesetzter nicht entsprach. Eine nochmalige Anfrage der Klägerin wegen der Dienstreisegenehmigung am 29.11.2010 wurde abschlägig beschieden. Am 30.11.2010 meldete sich die Klägerin krank. Am Folgetag erschien sie wieder zur Arbeit. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, künftig schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest vorzulegen. Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Widerruf dieser Weisung begehrt und geltend gemacht, das Verlangen des Arbeitgebers auf Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag der Erkrankung bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung. Außerdem sehe der für die Beklagte geltende Tarifvertrag kein derartiges Recht vor.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Die Ausübung des dem Arbeitgeber von § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG eingeräumten Rechts stehe im nicht gebundenen Ermessen des Arbeitgebers. Insbesondere sei es nicht erforderlich, dass gegen den Arbeitnehmer ein begründeter Verdacht besteht, er habe in der Vergangenheit eine Erkrankung nur vorgetäuscht. Eine tarifliche Regelung stehe dem nur entgegen, wenn sie das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausdrücklich ausschließe. Das sei vorliegend nicht der Fall gewesen, so das BAG.

BAG, Urteil vom 14.11.2012 – 5 AZR 886/11

(Quelle: Beck online)

Unwirksame Verfallklausel in einer Tantiemenrichtlinie

Eine Klausel in einer Tantiemen-Richtlinie des Arbeitgebers, wonach der Anspruch durch eine »vom Arbeitnehmer verursachte« Kündigung verfällt, ist unwirksam, wenn die Tantiemenzahlung eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung darstellt.

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Auszahlung einer Resttantieme aus einem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis. Der 1961 geborene Kläger war seit 1989, zuletzt aufgrund eines 2009 geschlossenen Anstellungsvertrages als »Technischer Bereichsleiter« bei der Beklagten beschäftigt. Die Bruttojahresvergütung des Klägers betrug zuletzt ca. 93.000,- EUR. Der Anstellungsvertrag bestimmt, dass der Kläger zusätzlich zum Gehalt eine Tantiemenzahlung erhält.

Höhe und Zusammensetzung der Tantieme regelt eine für den Konzern der Beklagten geltende Richtlinie. Diese bestimmt, dass der Anspruch eines tantiemenberechtigten Mitarbeiters sich aus mehreren Komponenten, z. B. einem Anteil am Unternehmensergebnis und einer Leistungsprämie zusammensetzt. Nach § 4 Absatz 6 der Richtlinie verfällt der Anspruch bei einer »vom Arbeitnehmer verursachten Beendigungsgründen des Arbeitsverhältnisses«.

Der Arbeitnehmer kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2011. Die Arbeitgeberin erstellte zum 19. 7.2011 eine Tantiemeabrechnung für das Jahr 2010, die einen dem Kläger per 31.07.2011 auszuzahlenden Betrag von 5.572,– € auswies. Mit seiner Klage beim ArbG Düsseldorf eingereichten Klage machte der Kläger die Zahlung weiterer 30.369,- EUR als Resttantieme geltend. Er verwies darauf, dass auf seinem Konto per 30.6.2011 ein Guthaben in dieser Höhe als verdiente Tantieme ausgewiesen sei. Er vertrat die Rechtsauffassung, dass die Verfallklausel im § 4 der Tantiemerichtlinie unwirksam wäre und die Auszahlung der bereits verdienten Tantieme nicht verhindern könnte.

Wie bereits das Arbeitsgericht sah das LAG den Anspruch des Klägers als berechtigt an und wies die Berufung des Arbeitgebers zurück. Der Anspruch des Klägers auf die Resttantieme bestimmt sich nach § 611 BGB in Verbindung mit dem Anstellungsvertrag von 2009 und in Verbindung mit der 2009 geltenden Tantiemerichtlinie. Die Beklagte kann sich nicht auf die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie und die Fälligkeitsklausel im § 4 Abs. 4 der Tantiemerichtlinie zu berufen, denn beide greifen nicht ein bzw. sind rechtsunwirksam, so das LAG.

Die Verfallklausel im § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und ist deshalb im Ergebnis unbeachtlich. Die Tantiemerichtlinie, die ab dem 01.01.2010 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien einwirkt, stellt eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB dar. Auch nach dem Sachvortrag der Beklagten wird bei der Berechnung der drei Einzelkomponenten der Tantieme überwiegend auf die jeweils zu bemessende individuelle Leistung des Klägers abgestellt, bzw. auf das von ihm mit beeinflusste Bereichs- oder Unternehmensergebnis.

Die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, in dem sie dem Kläger bereits erarbeiteten Lohn wieder entzieht. Sie verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert. Auch die Tatsache, dass dabei teilweise Unternehmensergebnisse mitberücksichtigt werden, verändert den Charakter der hier zu beurteilenden Sonderzuwendung demgegenüber nicht.

Die Berufungskammer meint, dass nach Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB auch auf das Auszahlungsjahr und nicht auf die Jahre abzustellen ist, in denen die Tantieme verdient wurde. Gerade mit Blick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine eventuelle Eigenkündigung des Klägers ist festzustellen, ob die Verfallklausel eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit im Sinne des Artikel 12 GG darstellt.

Bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens ist konkret zu untersuchen, ob dem Kläger seine Kündigung unangemessen erschwert wird, weil die Beklagte unter Hinweis auf die Verfallklausel mit einem Entzug der Resttantieme „drohen“ kann. Diese Frage dürfte aber für den vorliegenden Rechtsstreit unschwer zu bejahen sein; die Gefahr, knapp ein Drittel der Jahresgesamtvergütung bei einer Eigenkündigung zu verlieren, ist unzweifelhaft sehr groß und beeinträchtigt den Kläger in seinem Grundrecht nach Artikel 12 GG unangemessen und unzumutbar.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.07.2012

Aktenzeichen: 5 Sa 324/12

(Quelle: Rechtsprechungsdatenbank NRW)

Im Tarifvertrag kann die Nachwirkung konkludent ausgeschlossen sein

Die Nachwirkung eines Tarifvertrages können die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag ausdrücklich oder auch konkludent ausschließen.

Der in der IG Metall organisierte Kläger streitet mit dem beklagten Arbeitgeber um die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und damit verbunden um die Höhe seiner Vergütung.

Die Beklagte war Mitglied eines tarifschließenden Arbeitgeberverbandes bis zum 31.12.2001 und ab dem 01.01.2005 sog. OT-Mitglied desselben Arbeitgeberverbandes. Der Arbeitgeberverband und die Beklagte selbst schlossen mit der IG Metall am 27.09.2005 einen Tarifvertrag, der für die Betriebe der Beklagten die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöhte. Der Tarifvertrag enthielt einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31.12.2007. In den Schlussbestimmungen formulierten die Tarifvertragsparteien, dass die Laufzeit dieser Vereinbarung am 31.12.2008 ende und die Parteien verpflichteten sich, spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2008 Gespräche über eine Nachfolgeregelung aufzunehmen.

Die Beklagte hielt die Forderung des Klägers für unbegründet, weil der für ihr Unternehmen geschlossene Haustarifvertrag über den 31.12.2008 hinaus nachwirke. Anders als die Vereinbarung zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sei im Tarifvertrag die Regelung zur wöchentlichen Arbeitszeit nicht befristet. Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, das LAG hatte ihr stattgegeben.

Der 4. Senat wies die Revision der Beklagten zurück. Der Kläger könne seine Forderungen auf die Verbandstarifverträge stützen, die aufgrund der früheren Verbandsmitgliedschaft der Beklagten gem. § 4 V TVG im Zustand der Nachwirkung anzuwenden seien. Dieses Verbandstarifvertragswerk sei nur vorübergehend durch den Haustarif und unternehmensbezogenen Verbandstarif für die Beklagte verdrängt worden. Nach dem Ende dieses Tarifvertrages am 31.12.2008 seien wieder die Bestimmungen des Flächentarifvertrages anzuwenden gewesen. Der Tarifvertrag enthielt zwar keinen ausdrücklichen Ausschluss der Nachwirkung. Der Senat erkannte im Tarifvertragstext jedoch einen die Nachwirkung ausschließenden Regelungswillen und bewertete die Regelungsgegenstände des Tarifvertrages als Bestandteile eines Tauschgeschäftes, in dem der Arbeitgeber einen zweijährigen Verzicht auf den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gegeben habe, um eine dreijährige Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich zu erzielen. Wäre die Regelung zur Arbeitszeiterhöhung nicht befristet, erhielte der Arbeitgeber die Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich nach Ablauf des Tarifvertrages ohne „Gegenleistung“. Es könne nicht angenommen werden, dass dies gewollt sei. Auch die Schlussbestimmungen deuteten darauf hin, dass die Parteien nicht von einer gesetzlichen Nachwirkung ausgegangen seien. Die Vereinbarung einer frühzeitigen Verhandlungspflicht, die vor dem Ablauf des Tarifvertrages einsetzen sollte, ziele darauf ab, eine Nachfolgeregelung zu schaffen, bevor die auslaufende Regelung entfiele. Den Einwand der Beklagten, dass hier tariferfahrene Tarifvertragsparteien gehandelt hätten und den Ausschluss der Nachwirkung hätten vereinbaren müssen und können, wenn sie dies gewollt hätten, ließ der Senat nicht gelten. Hierzu gäbe es keine Erfahrungssätze.

BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 4 AZR 366/10

(Quelle: beck-fachdienst Arbeitsrecht – FD-ArbR 2012, 338208)

Nichtberücksichtigung von Dienstzeiten aus befristeten Beschäftigungen bei Verbeamtung zur «Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses» ohne sachlichen Grund unzulässig

Werden Dienstzeiten eines Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung aus vorangegangenen befristeten Arbeitsverhältnissen bei der anschließenden Einstellung als unbefristeter Beamter zur Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses nicht anerkannt, verstößt dies gegen EU-Recht, sofern nicht sachliche Gründe den Ausschluss von der Anerkennung rechtfertigen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 18.10.2012 auf Vorlage eines italienischen Gerichts entschieden. Die Befristung des Vertrags stelle dabei jedenfalls keinen sachlichen Grund dar.

Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren waren zunächst auf der Grundlage mehrerer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge bei der italienischen Wettbewerbsbehörde (AGCM) beschäftigt. Sie wurden dann im Rahmen eines im italienischen Recht vorgesehenen besonderen Verfahrens zur Stabilisierung von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Sektor unbefristet als Berufsbeamte eingestellt. Die tarifliche Einstufung erfolgt bei einer solchen Stabilisierung ohne Anerkennung des im Rahmen der befristeten Verträge erreichten Dienstalters. Die AGCM weigerte sich deshalb, die Dienstzeiten zu berücksichtigen, die die Klägerinnen zuvor bei ihr als befristet Beschäftigte zurückgelegt hatten.

Dagegen gingen die Klägerinnen gerichtlich vor. Das italienische Vorlagegericht, der Consiglio di Stato, rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung, ob die Stabilisierungsregelung über die Nichtanerkennung der Dienstzeiten aus den befristeten Beschäftigungen bei der unbefristeten Einstellung als Berufsbeamter gegen die europäische Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge verstößt, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung enthalten ist. Der EuGH stellt zunächst fest, dass sich die Klägerinnen auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in § 4 der Rahmenvereinbarung berufen können. Dass sie mittlerweile Dauerbeschäftigte sind, stehe dem nicht entgegen, da anderenfalls der Schutz vor Diskriminierungen unangemessen eingeengt würde.

Anschließend geht der EuGH auf die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ein. Dabei sei es grundsätzlich Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob sich die Klägerinnen in einer vergleichbaren Situation wie die unbefristet angestellten Berufsbeamten befanden, als sie ihre Aufgaben im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags wahrnahmen. Auf unterschiedliche Sachverhalte könne jedenfalls nicht deshalb geschlossen werden, weil die Klägerinnen – im Unterschied zu den Berufsbeamten – nicht mit Erfolg an einem öffentlichen Auswahlverfahren für den Zugang zum öffentlichen Dienst teilgenommen haben. Denn die vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen dienten gerade dazu, die Stabilisierung allein der befristet beschäftigten Arbeitnehmer zu ermöglichen, deren Situation derjenigen der Berufsbeamten gleichgestellt werden könne. Für eine Vergleichbarkeit ihrer Situation mit derjenigen der Berufsbeamten spreche, dass – wie die italienische Regierung selbst erläutert habe – die nationale Regelung gerade dazu dienen solle, die beim Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung zu valorisieren. Die Klärung obliege aber dem Vorlagegericht.

Sollten die bei der AGCM im Rahmen befristeter Arbeitsverträge wahrgenommenen Aufgaben denjenigen eines Berufsbeamten der einschlägigen Laufbahn entsprechen, wäre laut EuGH weiter zu prüfen, ob die Nichtberücksichtigung der im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags zurückgelegt habe, stelle jedenfalls keinen solchen sachlichen Grund dar. Genügte die Befristung zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung, liefe dies auf die Fortschreibung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus. Dadurch würden die Ziele des EU-Rechts ihrer Substanz beraubt.

Hinsichtlich der von der italienischen Regierung geltend gemachten sachlichen Gründe räumt Der EuGH ein, dass die Mitgliedstaaten bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen und dem Zugang zum öffentlichen Dienst über ein Ermessen verfügten. Laut EuGH können einige der vorgebrachten Unterschiede grundsätzlich eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf ihre Beschäftigungsbedingungen rechtfertigen. Das Ziel, eine umgekehrte Diskriminierung der nach erfolgreicher Absolvierung eines öffentlichen Auswahlverfahrens eingestellten Berufsbeamten zu vermeiden, könne einen sachlichen Grund darstellen. Allerdings sei die italienische Regelung unverhältnismäßig, da sie die Berücksichtigung sämtlicher im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten bei der Bestimmung ihres Dienstalters anlässlich ihrer unbefristeten Einstellung und somit der Höhe ihres Gehalts vollständig ausschließe. Ein solcher vollständiger und absoluter Ausschluss beruhe auf der falschen Annahme, dass der unbefristete Charakter des Arbeitsverhältnisses bestimmter öffentlicher Bediensteter für sich genommen eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den befristet eingestellten öffentlichen Bediensteten rechtfertige. Damit würden die Ziele der Richtlinie und der Rahmenvereinbarung ihrer Substanz beraubt. Ob sachliche Gründe im konkreten Fall vorliegen, müsse das vorlegende Gericht prüfen.

EuGH, Urteil vom 18.10.2012 – C-302/11, C-303/11; C-304/11; C-305/11

(Quelle: Beck online)

Kein Anspruch auf Herausgabe der Vergütung bei Verletzung eines Wettbewerbsverbots

Ein Arbeitnehmer ist nach § 61 Abs. 1 HGB nicht verpflichtet, ein mit dem Wettbewerber trotz Wettbewerbsverbot vereinbartes Festgehalt an den früheren Arbeitgeber herauszugeben. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.10.2012 entschieden, dass ein Arbeitsvertrag kein «Geschäft» im Sinne des § 61 Abs. 1 HGB ist.

Nach § 61 Abs. 1 HGB kann der Arbeitgeber bei einer Verletzung des Wettbewerbsverbots Schadensersatz fordern; er kann statt dessen auch verlangen, dass der Arbeitnehmer die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung des Arbeitgebers eingegangen gelten lässt und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgibt.

Der Beklagte war bei der Klägerin als Produktmanager und technischer Leiter tätig. Das Arbeitsverhältnis endete nach Maßgabe eines Vergleichs in einem Kündigungsschutzprozess aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung. Die Parteien vereinbarten eine Freistellung des Klägers von der Arbeitspflicht bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung. Eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes wurde im Vergleich nicht bestimmt. Während der Freistellung nahm der Beklagte ein Arbeitsverhältnis bei einem Wettbewerber der Klägerin auf. Die klagende Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, wegen der Verletzung des Wettbewerbsverbots die beim Wettbewerber bezogene Vergütung herauszugeben. Hilfsweise hat sie begehrt, die beim Wettbewerber bezogene Vergütung auf die Ansprüche des Beklagten ihr gegenüber anzurechnen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (LAG Baden-Württemberg, BeckRS 2011, 79027). Auch die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Der Beklagte sei nach § 61 Abs. 1 HGB nicht verpflichtet, ein mit dem Wettbewerber vereinbartes Festgehalt an die Klägerin herauszugeben. Der Abschluss des Arbeitsvertrags mit dem Wettbewerber sei kein «Geschäft» im Sinne von § 61 HGB. Die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber könne zwar bei Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses unter Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot gegen Treu und Glauben verstoßen, ein solcher Verstoß sei im Streitfall aber nicht ausreichend dargelegt.

BAG, Urteil vom 17.10.2012 – 10 AZR 809/11

(Quelle: Beck online)

Lohnwucher bei Rettungssanitätern

Liegt ein auffälliges Missverhältnis i.S.v. § 138 I BGB vor, weil der Wert der Arbeitsleistung den Wert der Gegenleistung um mehr als 50 %, aber weniger als 100 % übersteigt, bedarf es zur Annahme der Nichtigkeit der Vergütungsabrede zusätzlicher Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt. Ist der Wert der Arbeitsleistung hingegen (mindestens) doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, das eine tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten begründet.

Der Kläger arbeitete bei der dem Deutschen Roten Kreuz angehörenden Arbeitgeberin im Nebenerwerb als Rettungssanitäter. Hierzu „bewarb“ er sich jeweils auf nach Einteilung der Vollzeitbeschäftigten noch offene Dienste und übernahm Vertretungen. Er war nicht zur Übernahme von Diensten verpflichtet und konnte bereits übernommene Dienste stornieren. Der Kläger erhielt zunächst 3,20 EUR/Std. bei Nachtdiensten und 5,20 EUR/Std. tagsüber, später einheitlich 5,11 EUR/Std. Er hielt die Vergütung für sittenwidrig niedrig und klagte auf einen höheren Lohn. Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie abgewiesen.

Die Revision war erfolglos. Lohnwucher nach § 138 II BGB scheide nach Auffassung des BAG bereits aus, weil der Kläger nicht dargelegt habe, dass die Arbeitgeberin eine Zwangslage oder Unerfahrenheit ausgebeutet hätte.

Ein wucherähnliches Geschäft i.S.d. § 138 I BGB liege ebenso nicht vor. Das BAG nimmt zwar den objektiven Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts (auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) an. Dabei bestätigt es seine Rechtsprechung, nach der es den Wert der Arbeitsleistung i.d.R. anhand der üblicherweise im jeweiligen Wirtschaftszweig gezahlten Tarifentgelte bestimmt. Von „Üblichkeit“ sei auszugehen, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen. Die tarifgebundene Arbeitgeberin leiste 83 % aller rettungsdienstlichen Einsätze. Daher könne unterstellt werden, dass sie 50 % der Arbeitnehmer dieses Bereichs beschäftige. Der bei ihr anwendbare Entgelt-TV sei deshalb “üblich“. Die Vergütung des Klägers habe unterhalb der maßgeblichen Grenze von 2/3 des Tariflohns gelegen.

Das BAG verneint jedoch den subjektiven Tatbestand von § 138 I BGB. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Arbeitgeberin in verwerflicher Gesinnung handelte. Bei der Darlegungslast differenziert es nach dem Ausmaß des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Mache der Wert der Gegenleistung 50 % oder weniger des Wertes der Arbeitsleistung aus, werde eine verwerfliche Gesinnung vermutet. Liege der Wert der Gegenleistung oberhalb der 50 %-Grenze, müsse der Arbeitnehmer zusätzliche Umstände darlegen und beweisen, aus denen z.B. auf die Ausnutzung einer Notlage geschlossen werden könnte. Der Kläger habe die Entlohnung bei jedem Einsatz neu akzeptiert. Eine Druck- oder Notsituation sei nicht erkennbar. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Arbeitgeberin als Untergliederung des Deutschen Roten Kreuzes ausschließlich gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolge und zu einer Gewinnerzielung nicht berechtigt sei.

BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 5 AZR 268/11

(Quelle: Beck online)

Darlegung von Überstunden ggü. Arbeitgeber

Das BAG hat sich erneut damit befasst, welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast von geltend gemachten Überstunden durch den Arbeitnehmer zu stellen sind. Im vorliegenden Fall machte der Arbeitnehmer als LKW-Beifahrer Überstunden geltend, da diese aus seiner Sicht als Arbeitszeit zu werten seien.Das LAG Sachsen hadiese Klage des Arbeitnehmers nicht stattgegeben, das BAG hat die Angelegenheit an das LAG zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

Ausgehend von den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts in Verbindung mit § 614 BGB gilt im Arbeitsverhältnis der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Verlangt der Arbeitnehmer gem. § 611 BGB Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen, hat er deshalb darzulegen und – im Bestreitensfall – zu beweisen, dass er Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt (zB § 1 BUrlG, §§ 615, 616 Satz 1 BGB, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 EntgeltFG, § 37 Abs. 2 BetrVG). Da die konkret zu leistende Arbeit in der Regel vom Arbeitgeber durch Weisungen zu bestimmen ist (§ 106 GewO), genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, er habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers zu befolgen. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern. Deshalb hat der Arbeitgeber im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und ob der Arbeitnehmer den Weisungen nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden.

Nichts anderes gilt für die Behauptung des Arbeitnehmers, er habe die geschuldete Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet. Verlangt der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tarifvertraglicher Verpflichtung des Arbeitgebers oder § 612 Abs. 1 BGB Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und – im Bestreitensfall – zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist.

Diese Grundsätze dürfen aber nicht gleichsam schematisch angewendet werden, sondern bedürfen stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe. So kann ein Kraftfahrer wie der Kläger, dem vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen werden, seiner Darlegungslast bereits dadurch genügen, dass er vorträgt, an welchen Tagen er welche Tour wann begonnen und wann beendet hat. Im Rahmen der gestuften Darlegungslast ist es dann Sache des Arbeitgebers, unter Auswertung der Aufzeichnungen nach § 21a Abs. 7 Satz 1 ArbZG substantiiert darzulegen, an welchen Tagen der Arbeitnehmer aus welchen Gründen in geringerem zeitlichen Umfang als von ihm behauptet gearbeitet haben muss.

Ihrer Darlegungslast genügen weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber durch die bloße Bezugnahme auf den Schriftsätzen als Anlagen beigefügte Stundenaufstellungen oder sonstige Aufzeichnungen. Anlagen können lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen (BGH 2. Juli 2007 – II ZR 111/05 – Rn. 25 mwN, NJW 2008, 69; vgl. auch BVerfG 30. Juni 1994 – 1 BvR 2112/93 – zu III 2 a der Gründe, NJW 1994, 2683). Die Darlegung der Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer bzw. die substantiierte Erwiderung hierauf durch den Arbeitgeber hat vielmehr entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag lediglich erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen.

Diese Grundsätze dürfen aber nicht gleichsam schematisch angewendet werden, sondern bedürfen stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe. So kann ein Kraftfahrer wie der Kläger, dem vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen werden, seiner Darlegungslast bereits dadurch genügen, dass er vorträgt, an welchen Tagen er welche Tour wann begonnen und wann beendet hat. Im Rahmen der gestuften Darlegungslast ist es dann Sache des Arbeitgebers, unter Auswertung der Aufzeichnungen nach § 21a Abs. 7 Satz 1 ArbZG substantiiert darzulegen, an welchen Tagen der Arbeitnehmer aus welchen Gründen in geringerem zeitlichen Umfang als von ihm behauptet gearbeitet haben muss.

Das BAG stellt damit erneut klar, dass an die Geltendmachung von Überstunden für den Arbeitnehmer zunächst recht hohe Anforderungen zu stellen sind. Er muss im Einzelnen darlegen können, wann genau er wie lange gearbeitet hat. Im nachhinein wird ihm dies ohne entsprechende Aufzeichnungen hierüber in der Regel nicht mehr gelingen, insbesondere wenn die geltend gemachten Überstunden  zeitlich länger zurück liegen.

BAG, Urteil vom 16.05.2012, 5 AZR 347/11

Zur Berechnung des Verdienstes nach dem Mutterschutzgesetz

Zur Ermittlung des Verdienstes während des Beschäftigungsverbotes muss auf einen Zeitraum abgestellt werden, der dazu geeignet ist, einen realen Durchschnittsverdienst auszurechnen. Im Fall einer schwangeren Flugbegleiterin musste auf ein volles Jahr zurückgegriffen werden.

Eine Flugbegleiterin hatte ihre Jahresarbeitszeit auf 90 Prozent reduziert. Dadurch standen ihr jährlich 37 sogenannte Teilzeittage zu, an denen sie nicht arbeiten musste. Im Übrigen erfolgte ihre Arbeitseinteilung wie bei einem Vollzeitbeschäftigten. Als die Stewardess schwanger wurde, galt für sie ein Beschäftigungsverbot ab Mitte Oktober 2008 bis Ende April 2009.

Die Beklagte berechnete nach dem Mutterschutzgesetz die geschuldete Vergütung für die Zeit des Beschäftigungsverbots. Dafür legte sie die letzten dreizehn Wochen vor Beginn der Schwangerschaft der Flugbegleiterin zu Grunde.

Die Stewardess vertrat die Auffassung, dass die Berechnung falsch sei, da ihre Teilzeittage in diesen Zeitraum fielen und den Verdienst unterdurchschnittlich senkten. Sie klagte gegen die Berechnung vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Köln. Das ArbG Köln wies die Zahlungsansprüche der Klägerin durch Teilurteil ab.

In der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln bekam die Klägerin Recht. Die Beklagte durfte nicht die letzten dreizehn Wochen vor der Schwangerschaft für die Berechnung der geschuldeten Vergütung zu Grunde legen.

Nach § 11 Abs. 1 S. 2 MuSchGExterner Link (Mutterschutzgesetz) bleiben Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum unter anderem wegen unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, für die Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht.

Berücksichtigt die Beklagte nur den Zeitraum von dreizehn Wochen, so das LAG Köln, so werde dem Zweck der Vorschrift des § 11 MuSchG nicht entsprochen. Dieser liege darin, das Arbeitseinkommen der Frau zu sichern, damit sie ihren Lebensstandard in der Zeit aufrechterhalten kann, in der sie einem Beschäftigungsverbot unterliegt.

Dieser Durchschnittsverdienst lasse sich aber aus dem Dreimonatszeitraum nicht ableiten, wenn die Arbeitszeitreduzierung bei der Klägerin erst durch sogenannte Teilzeittage in einem vollen Kalenderjahr ausgeglichen ist. Die Umstände des Einzelfalles seien hier entscheidend. Um den tatsächlichen Durchschnittsverdienst zu ermitteln, ist auf das Kalenderjahr abzustellen.

LAG Köln, Urteil vom 21.12.2011, 8 Sa 1328/10

Arbeitsunfähigkeit „bis auf weiteres“

Hat ein Arzt in einem Auszahlschein für Krankengeld Arbeitsunfähigkeit „bis auf weiteres“ bescheinigt, hat er die Dauer der Bestätigung in der Regel auch dann nicht auf einen Endzeitpunkt begrenzt, wenn er in dem Schein selbst den nächsten Untersuchungstermin angegeben hat.

Dem Kläger war durch seinen Hausarzt zunächst Arbeitsunfähigkeit ab Dezember 2010 bescheinigt worden, woraufhin die beklagte Krankenkasse zunächst Krankengeld gewährte.

Mit Auszahlschein vom 8. April 2011 bestätigte der Hausarzt aufgrund einer Untersuchung am gleichen Tag Arbeitsunfähigkeit „bis auf weiteres“. Als nächsten Praxisbesuch gab er den 30. April 2011 an. Handschriftlich ist hinzugefügt, dass der Termin auf den 2. Mai 2011 verlegt wird, weil der zuvor genannte Termin ein Samstag ist. Am neu festgesetzten Termin erschien der Kläger und es wurde wiederum ein Auszahlungsschein ausgestellt, in dem festgestellt wurde, dass er noch arbeitsunfähig sei.

Die beklagte Krankenkasse lehnte die Krankengeldzahlung ab dem 1. Mai 2011 ab, da der zwischenzeitlich nur noch aufgrund des fortdauernden Krankengeldbezuges Mitglied der Kasse gewesen sei.

Nachdem das Sozialgericht dieser Argumentation gefolgt ist und die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt hat, hob das Landessozialgericht.

Prozesskostenhilfe für die auf Krankengeld gerichtete Klage kann wegen fehlender Erfolgsaussicht nicht mit dem Argument versagt werden, es liege nach dem genannten Termin der Untersuchung jedenfalls die Voraussetzung einer ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vor.

Eine Begrenzung der „bis auf weiteres“ bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist durch die Nennung eines nächsten Praxistermins nicht erfolgt.

SG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.12.2011, L 5 KR 309/11 B

Frage nach der Schwerbehinderung ist im bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig

Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist jedenfalls nach sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung zulässig.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad von 60. Er stand seit dem 01.11.2007 in einem bis zum 31.10.2009 befristeten Arbeitsverhältnis. Am 08.01.2009 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellt. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbat der Beklagte in einem Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der ihm vorliegenden Daten u.a. Angaben zum Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Kläger verneinte seine Schwerbehinderung. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Beklagte als Insolvenzverwalter am 26.05.2009 dem Kläger zum 30.06.2009. Der Kläger teilte in der Klageschrift vom 09.06.2009 seine Schwerbehinderung mit. Er machte geltend, die Kündigung vom 26.05.2009 sei unwirksam, weil das Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe. Das ArbG gab der Klage statt. Das LAG wies die Klage ab.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG kann sich der Kläger nicht auf den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint hat. Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung stehe im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 III KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf. Sie solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Die Frage diskriminiere behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderung. Auch datenschutzrechtliche Belange stünden der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung sei es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

Das BAG differenziert zu Recht danach, ob die Frage nach der Schwerbehinderung vor Aufnahme des Arbeitsverhältnisses oder während dessen Bestands gestellt wird. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann es ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers geben, über eine vorliegende Schwerbehinderung wahrheitsgemäß informiert zu werden. In diesem Fall ist eine entsprechende Nachfrage weder unzulässig noch kann sie als Indiz für eine verbotene Benachteiligung bei einer ggf. anschließenden Auswahlentscheidung herangezogen werden.

Für den Umgang mit den Diskriminierungsverboten im Rahmen des Einstellungsverfahrens gilt auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Entscheidung die grundsätzliche Empfehlung, dass vor der Einstellungsentscheidung nur solche Fragen gestellt werden sollten, die für die Frage der Begründung des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung sind. Alle für diese Entscheidung nicht relevanten Daten – und hierzu zählt auch die Schwerbehinderung – sollten erst nach der Einstellung beim Arbeitnehmer erhoben werden.

BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 6 AZR 553/10