BAG: Keine Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens eines schwerbehinderten Arbeitnehmers während Probezeit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem aktuellen Urteil klargestellt:
Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben während der Probezeit keinen Anspruch auf ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX.

Der Fall

Ein zu 80 % schwerbehinderter Mann begann eine Tätigkeit als Leiter der Haus- und Betriebstechnik. Nach drei Monaten – also zur Halbzeit der Probezeit – kündigte ihm der Arbeitgeber. Begründung: fachliche Ungeeignetheit.
Der Arbeitnehmer klagte, unter anderem mit dem Argument, dass der Arbeitgeber weder ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX eingeleitet noch ihm einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz angeboten habe. Er stützte sich zudem auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und den Vorwurf der Diskriminierung.
Doch sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht und letztlich vor dem BAG (Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 178/24) blieb er erfolglos.

Kein Zusammenhang mit der Behinderung

Das BAG sah keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung stand. Entscheidend war für die Richter: Der Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmer in Kenntnis seiner Behinderung eingestellt und die Kündigung ausschließlich mit mangelnder Eignung begründet.
Eine mittelbare Benachteiligung lag ebenfalls nicht vor – es gab keine Umstände, die eine solche vermuten ließen.

Präventionsverfahren erst nach sechs Monaten

Besonders wichtig: Das BAG stellte klar, dass ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nur dann greift, wenn auch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist. Das bedeutet:
  • Voraussetzung: mindestens sechs Monate Betriebszugehörigkeit
  • Geltung nur in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern
Begründet wird dies mit dem Wortlaut des Gesetzes, das an die Begriffe aus § 1 Abs. 2 KSchG anknüpft („personenbedingte“, „verhaltensbedingte“ oder „betriebsbedingte“ Schwierigkeiten). Ziel des Präventionsverfahrens sei es, solchen Kündigungen im Sinne des KSchG vorzubeugen – nicht aber jede Form von Schwierigkeiten während der Probezeit zu erfassen.

Kein formaler Kündigungsschutz durch Präventionsverfahren

Die Richter betonten außerdem: Die fehlende Durchführung des Präventionsverfahrens macht eine Kündigung nicht automatisch unwirksam. Anders als etwa bei der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX) sieht das Gesetz hier keine Unwirksamkeitsfolge vor.

Gesetzgeber bestätigt BAG-Rechtsprechung

Interessant ist, dass der Gesetzgeber den § 167 Abs. 1 SGB IX zuletzt mehrfach im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes und des Teilhabestärkungsgesetzes geändert hat – ohne die bestehende Auslegung des BAG anzutasten. Für die Richter ein klares Zeichen: Diese Sichtweise ist gewollt.
Auch europarechtlich und nach der UN-Behindertenrechtskonvention sei diese Einschränkung zulässig. Das Präventionsverfahren selbst sei keine „angemessene Vorkehrung“ im Sinne des EU-Rechts, sondern lediglich ein Verfahren, um solche Vorkehrungen zu ermitteln.

Abweichende Auffassung des LAG Köln

Das Landesarbeitsgericht Köln hatte 2024 noch anders entschieden und sich auf ein EuGH-Urteil (10.02.2022 – C-485/20) gestützt. Demnach hätte auch in der Probezeit ein Präventionsverfahren angeboten werden müssen. Das BAG hat diese Auffassung nun eindeutig zurückgewiesen.

Fazit:
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen in der Probezeit keinen Anspruch auf ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX. Erst nach sechs Monaten – und nur in größeren Betrieben – greift diese Schutzvorschrift. Arbeitgeber müssen aber dennoch Diskriminierung vermeiden und angemessene Vorkehrungen prüfen, wenn konkrete Hinweise auf behinderungsbedingte Probleme bestehen.

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