Mit seinem Urteil vom 30. Oktober 2025 (2 AZR 160/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine bedeutsame Grundsatzentscheidung zur zulässigen Dauer von Probezeiten in befristeten Arbeitsverhältnissen getroffen. Die Entscheidung beschäftigt zahlreiche Unternehmen und Beschäftigte, da sie die grundlegende Rechtsunsicherheit bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen nach der Neufassung des § 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) auflöst. In diesem Beitrag werden die Kernaussagen dieses Urteils erläutert, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Konsequenzen analysiert und gezielte Hinweise für die Praxis gegeben.
1. Ausgangslage: Die gesetzliche Regelung zur Probezeitbefristung
Seit dem 1. August 2022 verlangt § 15 Abs. 3 TzBfG ausdrücklich, dass die Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Befristung und zur Art der Tätigkeit stehen muss. Das Gesetz schreibt vor:
“(3) Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.”
Damit sollen Kettenbefristungen sowie überlange Probezeiten und die damit verbundenen Unsicherheiten für Arbeitnehmer vermieden werden. Eine Probezeit von gleicher Länge wie die Befristung ist unzulässig; vielmehr ist die Probezeit stets kürzer als die Vertragslaufzeit zu gestalten. Bisher wurde in Praxis und Literatur oft ein “Richtwert” von 25 % der Vertragslaufzeit oder maximal sechs Monate diskutiert, wobei unter bestimmten Umständen (z. B. besonders komplexe Tätigkeiten) auch längere Probezeiten vertreten wurden.
2. Das neue BAG-Urteil: Keine pauschalen Prozentsätze, sondern Einzelfallabwägung
Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil 2 AZR 160/24 entschieden, dass es keinerlei pauschalen Regelwert – etwa eine Obergrenze von 25 % der Vertragslaufzeit – gibt, an dem sich die Dauer einer zulässigen Probezeit für befristete Verträge bemisst. Vielmehr verlangt § 15 Abs. 3 TzBfG stets eine sorgfältige Einzelfallbetrachtung: Entscheidend sind einerseits die erwartete Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und andererseits die Art der Tätigkeit, insbesondere der Umfang und die Komplexität der Einarbeitungs- und Bewährungsphase.
Sachverhalt des BAG-Falls
Im konkreten Fall war die Klägerin für ein Jahr befristet als Kundenberaterin eingestellt worden. Die Parteien vereinbarten eine viermonatige Probezeit, während der das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Die Arbeitgeberin kündigte gegen Ende der Probezeit, die Arbeitnehmerin hielt diese für zu lang und die Kündigung daher für unwirksam.
Das BAG zur Verhältnismäßigkeit
Das BAG stellte fest, dass auch bei einer zwölfmonatigen Befristung keine rechnerische Grenze gilt. Konkret hielt es bei Vorliegen eines schlüssigen, detaillierten Einarbeitungsplans, der eine 16-wöchige Einarbeitungsphase abbildet (hier in drei Phasen), eine viermonatige Probezeit für verhältnismäßig. Damit hob das BAG die Entscheidung der Vorinstanz (LAG Berlin-Brandenburg), die von einem starren 25-%-Regelwert ausgegangen war, ausdrücklich auf und urteilte:
“Für die Verhältnismäßigkeit einer vereinbarten Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis […] gibt es keinen Regelwert. Vielmehr ist stets eine Einzelfallabwägung unter Berücksichtigung der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit durchzuführen.”
Kein Automatismus, keine Prozentregel, sondern rationale, an objektiven Kriterien orientierte Abwägung: Gerade bei komplexen Tätigkeiten oder umfangreichen Einarbeitungsprozessen kann also auch bei relativ kurzer Laufzeit eine längere Probezeit angemessen sein.
Keine Verkürzung der sechsmonatigen Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG)
Das BAG nutzte die Gelegenheit, um auch einen weiteren Streitpunkt zu klären: Selbst wenn eine Probezeitvereinbarung wegen Unangemessenheit unwirksam ist, bleibt die gesetzliche Wartezeit von sechs Monaten nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für den allgemeinen Kündigungsschutz unangetastet. Eine Verkürzung dieser Frist auf die “zulässig vereinbarte” Probezeit mit kurzer Kündigungsfrist ist ausgeschlossen.
3. Kommentierung und der Blick in die Praxis
Bedeutung für die Vertragsgestaltung
Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für die arbeitsrechtliche Praxis:
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Arbeitgeber sind gehalten, die Dauer der Probezeit einzelfallbezogen zu begründen. Sie sollten insbesondere Umfang und Notwendigkeit der Einarbeitung dokumentieren – z. B. durch einen konkreten Einarbeitungsplan.
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Arbeitnehmer profitieren davon, dass starre und überhöhte Probezeitregelungen nicht mehr wirksam sind. Dennoch ist die Möglichkeit, sich während der Probezeit von einem befristet Beschäftigten zu lösen, grundsätzlich gewahrt, wenn die Probezeit objektiv gerechtfertigt ist.
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Unzulässig bleibt, eine Probezeit von gleicher Länge wie die gesamte Befristung „aus Bequemlichkeit“ zu vereinbaren; sie muss stets spürbar kürzer sein und darf nicht zum Nachteil der Beschäftigten gereichen.
Praktische Konsequenzen bei Unwirksamkeit der Probezeitklausel
Wird eine überlange Probezeit vereinbart und ist diese unwirksam, so berührt dies nicht zwangsläufig die gesamte Kündigungsregelung des Vertrages. Der Grundsatz der sog. Teilbarkeit der Vertragsklausel greift, sofern eine von der Probezeitklausel unabhängige Kündbarkeitsregel getroffen wurde. Das BAG und die Literatur sprechen sich in diesen Fällen für ein Fortbestehen der restlichen, sprachlich und inhaltlich trennbaren Regelungen aus („Blue-Pencil-Test“).
Instanzrechtsprechung – Abweichende Meinungen
Bemerkenswert ist, dass das LAG Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz einen “Regelwert” von 25 % der Befristungsdauer ansetzte und damit die Probezeit auf drei Monate bei einem Einjahresvertrag begrenzte. Das BAG hat mit seiner Entscheidung diese Praxis korrigiert und klargestellt, dass solche Quoten nicht mehr akzeptabel sind.
Tarifliche Lösungen
In einzelnen Branchen, wie etwa in der Zeitarbeit, gehen tarifliche Neuerungen nach Inkrafttreten neuer Tarifverträge sogar dahin, gar keine gesonderte Probezeit mehr zu regeln, sondern stattdessen generell während der ersten sechs Monate verkürzte Kündigungsfristen gelten zu lassen. Hierdurch entfällt das Abgrenzungsproblem für die Praxis gänzlich.
Zusammenfassung: Was bedeutet das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.10.2025 die Rechtssicherheit bei der Vertragsgestaltung gestärkt: Für die Probezeit in befristeten Arbeitsverhältnissen gilt kein starrer Prozentsatz oder Regelwert, sondern stets eine Einzelfallbetrachtung. Arbeitgeber sollten die Probezeit sachlich begründen und dokumentieren, Arbeitnehmer können unangemessen lange Probezeiten erfolgreich angreifen. Die gesetzliche Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz bleibt dabei in jedem Fall bei sechs Monaten bestehen – sie wird durch eine überlange Probezeit nicht verkürzt. Bei Unsicherheit empfiehlt es sich, arbeitsrechtlichen Rat einzuholen und individuell abzuklären, ob eine beabsichtigte Regelung den Anforderungen der jüngsten BAG-Entscheidung standhält.