Was gilt bei Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit?
Wechseln Mitarbeiter im laufenden Kalenderjahr von Vollzeit in Teilzeit oder umgekehrt, stellt sich die Frage, wie sich dies auf den Urlaubsanspruch auswirkt. Ändert sich lediglich die tägliche Arbeitszeit bei gleichbleibender Anzahl der Wochenarbeitstage, wirkt sich dies auf die – in Tagen bemessene – Urlaubsdauer nicht aus. Ändert sich hingegen die Anzahl der Wochenarbeitstage, muss der Urlaub neu berechnet werden. Wie im Urlaubsrecht üblich, gibt der Europäische Gerichtshof (EuGH) hierbei zunehmend den Takt vor. Dies zuletzt mit der „Greenfield“-Entscheidung vom 11.11.2015 (C-219/14).
Was sagt das Gesetz? Und was ist neu?
Ausgangspunkt für die Berechnung der Urlaubsdauer ist § 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach der jährliche Urlaub mindestens 24 Werktage beträgt, wobei das Gesetz von dem überholten Konzept einer 6-Tage-Woche ausgeht. Zielvorstellung offenbar: Arbeitnehmer sollen pro Jahr mindestens vier Wochen Urlaub nehmen können. Nach allgemeiner Auffassung verringert sich die Anzahl der Urlaubstage somit proportional zur Anzahl der Wochenarbeitstage (20 Urlaubstage bei 5-Tage-Woche, 16 Urlaubstage bei 4-Tage-Woche etc.). Da der Urlaub in Tagen und nicht in Stunden bemessen wird, kommt es auf die pro Tag geleisteten Arbeitsstunden insoweit nicht an. Eine Verringerung der täglichen Arbeitszeit von z.B. 8 auf 5 Stunden wirkt sich auf die Anzahl der Urlaubstage somit nicht aus.
Kompliziert wird es, wenn die Anzahl der Wochenarbeitstage im laufenden Kalenderjahr verringert oder erhöht wird. Denn nach bisheriger Ansicht deutscher Arbeitsgerichte entsteht der gesamte Jahresurlaub grundsätzlich jeweils bereits am 1. Januar. So war nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bei unterjähriger Verringerung der Wochenarbeitstage der gesamte Jahresurlaub proportional neu zu berechnen, jedenfalls soweit dieser noch nicht verbraucht war, so dass die Mitarbeiter im Endeffekt am Jahresende stets vier Wochen urlaubsbedingt frei hatten.
Diese Rechtsprechung musste das BAG jedoch 2015 auf Druck des EuGH aufgeben. Denn nach Vorstellung des EuGH werden Urlaubsansprüche erst im Laufe des Jahres erworben, also nach und nach durch Arbeit verdient; mit der Folge, dass etwa bei einer Verringerung der Wochenarbeitstage ab 1.7. die bis zum 30.6. „erarbeiteten“ Urlaubstage (= der halbe Jahresurlaub) nicht mehr gekürzt werden können. Vielmehr soll in diesem Fall lediglich der ab 1.7. „zu erarbeitende“ Urlaub auf Basis der verringerten Arbeitszeit neu berechnet werden.
EuGH: Von „Tirol“ über „Brandes” zu „Greenfield“
Dieses Prinzip hat der EuGH mit den Entscheidungen „Tirol“ (Urteil vom 22.4.2010 – C-486/08) und „Brandes“ (Urteil vom 13.6.2013 – C-415/12) zunächst für den Wechsel von Vollzeit in Teilzeit entwickelt. Wird der Urlaubsanspruch also teilweise während der Vollzeittätigkeit erworben, dürfen die bis dahin „erarbeiteten“ Urlaubstage nach dem Wechsel in Teilzeit nicht verringert werden. Denn eine nachträgliche Kürzung des Urlaubs sei eine unzulässige Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter. Diese Rechtsprechung hat das BAG – nicht ohne Protest – zwischenzeitlich umgesetzt (Urteil vom 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 (F)).
In Sachen „Greenfield“ hatte sich der EuGH zuletzt nun auch mit der umgekehrten Konstellation zu befassen, nämlich einer Erhöhung der Anzahl der Wochenarbeitstage (Urteil vom 11.11.2015 – C-219/14). Danach ist auch bei einem unterjährigen Wechsel von Teilzeit in Vollzeit die Urlaubsdauer getrennt nach Zeitabschnitten („pro rata temporis“) zu ermitteln. Die vor dem Wechsel erarbeiteten Urlaubstage müssen somit nicht durch Nachberechnung erhöht werden. Mit der „Greenfield“-Entscheidung dürfte auch die vom EuGH zuvor noch angedeutete Einschränkung obsolet geworden sein, wonach die „pro rata temporis“-Berechnung nur bei Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung in der Phase der Vollzeittätigkeit geboten sei.
Zum gesetzlichen Mindesturlaub kommt in der Praxis regelmäßig arbeits- oder tarifvertraglicher Mehrurlaub hinzu. Jedenfalls soweit zum Mehrurlaub – neben der Anzahl der Urlaubstage – keine besonderen Regelungen getroffen werden, ist vom Gleichlauf mit dem gesetzlichen Mindesturlaub auszugehen, so dass die o.g. EuGH-Rechtsprechung auch auf Mehrurlaub anzuwenden sein dürfte.
Wie funktioniert die Berechnung in der Praxis?
Hat ein (Vollzeit-)Mitarbeiter im Rahmen einer 5-Tage-Woche danach z.B. insgesamt einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, ergibt sich bei einem Wechsel in eine 4-Tage-Woche zum 1.7. folgende Berechnung:
- Urlaub für 1.1. bis 30.6.: 30 Urlaubstage x 6/12 = 15 Urlaubstage
- Urlaub für 1.7. bis 31.12.: 30 Urlaubstage x 6/12 x 4/5 = 12 Urlaubstage
- Urlaub insgesamt = 27 Urlaubstage
Im umgekehrten Fall des Wechsels von der 4-Tage-Woche in eine 5-Tage-Woche zum 1.7. ergibt sich nach „Greenfield“ ebenfalls ein Anspruch auf insgesamt 27 Urlaubstage.
Welche Probleme können sich ergeben?
Während die Folgen der EuGH-Rechtsprechung im obigen Beispiel ausgesprochen „harmlos“ wirken, sind – bei genauer Betrachtung – durchaus Konstellationen denkbar, die für Arbeitgeber überraschend unerfreuliche Konsequenzen haben.
Beispiel: Wechsel von 5-Tage-Woche in 2-Tage-Woche ab 1.10.
- Urlaub für 1.1. bis 30.9.: 30 Urlaubstage x 9/12 = 22,5 Urlaubstage
- Urlaub für 1.10. bis 31.12.: 30 Urlaubstage x 3/12 x 2/5 = 3 Urlaubstage
- Urlaub insgesamt (aufgerundet nach § 5 Abs. 2 BUrlG) = 26 Urlaubstage
Hat der Mitarbeiter in diesem Fall bis zum 30.9. noch gar keinen Urlaub genommen, könnte er nunmehr Urlaub für die nächsten 13 Wochen einreichen – und sich beim entgeisterten Vorgesetzten mit den Worten „Bis nächstes Jahr!“ verabschieden.
Im Extremfall können Mitarbeiter somit monatelang bezahlt der Arbeit fernbleiben; dies insbesondere auch dann, wenn erhebliche Resturlaubsansprüche – etwa nach Rückkehr aus Elternzeit – hinzukommen. Ob dies notwendig ist, um dem Erholungsgedanken des Urlaubs Rechnung zu tragen, darf zu Recht bezweifelt werden.
Denkbar ist zudem, dass Mitarbeiter „zu viel“ Urlaub nehmen, etwa wenn der Mitarbeiter im obigen Beispiel bis zum 30.9. bereits 30 Urlaubstage in Anspruch genommen hat. Dann hätte er 4 Urlaubstage mehr verbraucht, als ihm letztlich zustehen. Ob dies zu „Minus-Urlaub“ führt, der im nächsten Kalenderjahr angerechnet werden kann, oder der Arbeitgeber über eine analoge Anwendung des § 5 Abs. 3 BUrlG das Nachsehen hat, ist derzeit noch völlig offen.
Darüber hinaus dürften sich regelmäßig Fragen im Zusammenhang mit der Berechnung des Urlaubsentgelts (Referenzprinzip nach § 11 BUrlG) unter Berücksichtigung der veränderten Arbeitszeit ergeben.
Mitarbeiter in den Urlaub schicken
Sobald Mitarbeiter Änderungswünsche hinsichtlich Umfang und Verteilung der Arbeitszeit äußern, sollte geprüft werden, wie sich die neue Urlaubsberechnung im Einzelfall auswirkt und welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, um nachteilige Folgen zu vermeiden. Unternehmen ist insoweit zu raten, die Urlaubskonten gut im Blick zu behalten, um bei Bedarf rechtzeitig reagieren zu können. Soweit es um eine Verringerung der Wochenarbeitstage geht, dürfte es in vielen Fällen zweckmäßig sein, möglichst darauf hinzuwirken, dass bereits „erarbeiteter“ Urlaub noch vor Wirksamwerden der Verringerung genommen wird.