Während seines unionsrechtlich garantierten Mindestjahresurlaubs hat ein Arbeitnehmer ungeachtet früherer Kurzarbeitszeiten Anspruch auf sein normales Arbeitsentgelt. Allerdings hängt die Dauer dieses Mindestjahresurlaubs von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die im Referenzzeitraum erbracht wurde, sodass Kurzarbeitszeiten dazu führen können, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen beträgt, wie der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden hat (Urteil vom 13.12.2018 (Az.: C-385/17).
Kurzarbeit eines deutschen Angestellten
Torsten Hein, der bei dem deutschen Unternehmen Holzkamm als Betonbauer beschäftigt ist, befand sich im Jahr 2015 für 26 Wochen, also die Hälfte des Jahres, in Kurzarbeit und erbrachte in dieser Zeit keine tatsächliche Arbeitsleistung. In Kurzarbeitszeiten wie im Fall von Hein besteht das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort, aber der Arbeitnehmer erbringt keine tatsächliche Arbeitsleistung für die Belange seines Arbeitgebers.
Streit um gekürzte „Urlaubsvergütung“
Nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 04.07.2002 in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung (BRTV-Bau) haben die Arbeitnehmer jedoch unabhängig von Kurzarbeitszeiten, in denen sie keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben, Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Tagen. Dementsprechend nahm Hein im Lauf der Jahre 2015 und 2016 die 30 Urlaubstage, auf die er im Jahr 2015 Anspruch erworben hatte. Allerdings werden die Kurzarbeitszeiten nach dem BRTV-Bau bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts, der „Urlaubsvergütung“, berücksichtigt. Holzkamm berechnete daher den an Hein zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Bruttostundenlohns, der unter dem normalen Stundenlohn lag, was zu einer deutlichen Verringerung seines Entgelts führte.
ArbG Verden bringt Sache vor EuGH
Da Hein der Ansicht ist, dass die in den Referenzzeitraum fallende Kurzarbeit nicht zu einer Kürzung der ihm zustehenden Urlaubsvergütung führen dürfe, rief er das Arbeitsgericht Verden an. Dieses möchte vom Gerichtshof wissen, ob eine nationale Regelung (hier: Mindesturlaubsgesetz), nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass etwaige Verdienstausfälle infolge von Kurzarbeit im Referenzzeitraum berücksichtigt werden können, was zu einer Kürzung der Urlaubsvergütung führt, mit dem Unionsrecht (RL 2003/88/EG sowie Art. 31 Grundrechtecharta) vereinbar sind.
EuGH: Anspruch auf Jahresurlaub und auf Urlaubsentgelt zu unterscheiden
Der EuGH weist darauf hin, dass jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Dieser einheitliche Anspruch bestehe aus zwei Aspekten, nämlich dem Anspruch auf Jahresurlaub und dem auf Zahlung eines Urlaubsentgelts.
Dauer des Mindestjahresurlaubs von tatsächlich geleisteter Arbeit abhängig
Was erstens die Dauer des Mindestjahresurlaubs von vier Wochen angeht, weist der Gerichtshof darauf hin, dass diese Dauer auf der Prämisse beruht, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat (vgl. EuGH, NZA 2018, 1323). Daher seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Da Hein im Jahr 2015 26 Wochen lang nicht tatsächlich gearbeitet hat, dürften ihm also nach dem Unionsrecht nur zwei Urlaubswochen zustehen, wobei die exakte Dauer dieser Urlaubszeit aber vom ArbG Verden zu bestimmen sei, so der EuGH.
Nationale Regeln oder Tarifvertrag dürfen längeren Urlaub vorsehen
Allerdings regelt das Unionsrecht nur die Dauer des Mindestjahresurlaubs und stehe dem nicht entgegen, dass Arbeitnehmern in nationalen Rechtsvorschriften oder in einem Tarifvertrag ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von längerer Dauer unabhängig davon gewährt wird, ob die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Kurzarbeit verkürzt war.
Entgelt für unionsrechtlich garantierte Mindesturlaubsdauer weiter zu zahlen
Was zweitens das Entgelt anbelangt, das dem Arbeitnehmer für die unionsrechtlich garantierte Mindesturlaubsdauer zu zahlen ist, weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Arbeitsentgelt für diese Dauer weiter zu gewähren ist. Mit anderen Worten muss der Arbeitnehmer für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (vgl. EuGH, NZA 2018, 1323 sowie NZA 2011, 1167). Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts solle der Arbeitnehmer nämlich während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Erhielte der Arbeitnehmer nicht das gewöhnliche Arbeitsentgelt, könnte er veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen, zumindest nicht in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung, da dies dann zu einer Verringerung seines Entgelts führen würde. Der EuGH stellt deshalb fest, dass es dem Unionsrecht widerspricht, wenn ein Arbeitnehmer, der sich in einer Situation wie der von Hein befindet, für seine unionsrechtlich garantierten Jahresurlaubstage ein Entgelt erhält, das nicht dem gewöhnlichen Entgelt entspricht, das er in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhält.
Gewöhnliches Arbeitsentgelt nur für Mindesturlaubsdauer zwingend
Der Gerichtshof hebt allerdings hervor, dass das Unionsrecht nicht verlangt, dass das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die gesamte Dauer des Jahresurlaubs gezahlt wird, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht zusteht. Der Arbeitnehmer müsse dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindestjahresurlaubs zahlen, wobei der Arbeitnehmer den Anspruch auf diesen Urlaub nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erwirbt.
Tarifvertragliche Zusatzleistungen und Überstundenvergütungen dürfen außen vor bleiben
In einem Rechtsstreit wie dem hier vorliegenden, in dem sich Privatpersonen gegenüberstehen, sei das nationale Gericht verpflichtet, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen, erläutert der EuGH weiter. Eine solche Auslegung sollte dazu führen, dass die den Arbeitnehmern für den unionsrechtlich vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubsvergütung nicht geringer ausfällt als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten. Hingegen verpflichte das Unionsrecht weder dazu, die nationale Regelung dahin auszulegen, dass sie einen Anspruch auf eine tarifvertragliche Zusatzleistung begründet, die zu diesem Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hinzukommt, noch dazu, dass die Überstundenvergütung berücksichtigt wird, es sei denn, der Arbeitnehmer sei arbeitsvertraglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich sind und deren Vergütung einen wesentlichen Teil seines gesamten Arbeitsentgelts ausmacht.
Urteil in seinen Wirkungen zeitlich nicht zu beschränken
Zu den zeitlichen Wirkungen seines Urteils weist der EuGH darauf hin, dass die von ihm vorgenommene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folge, dass die nationalen Gerichte die unionsrechtlichen Vorschriften über den Jahresurlaub, so wie sie im aktuellen Urteil ausgelegt würden, auch auf Rechtsverhältnisse, die vor dem Tag des Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Die Wirkungen des Urteils seien nicht zeitlich zu beschränken, da die Voraussetzung der schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen nicht erfüllt ist. Überdies stellt der Gerichtshof klar, dass das Unionsrecht die nationalen Gerichte daran hindert, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu schützen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des BRTV-Bau über den bezahlten Urlaub bestätigt hat.
EuGH , Urteil vom 13.12.2018 – C-385/17
(Quelle: Beck online)