Fristlose Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ohne Arztkontakt

Fristlose Kündigung Arbeitsrecht Stuttgart Frau liest Dokumente.
Die Digitalisierung medizinischer Dienstleistungen bringt neue Rechtsfragen mit sich, insbesondere im Arbeitsrecht. Mit Urteil vom 5. September 2025 (Az. 14 SLa 145/25) hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm klargestellt: Eine per Telemedizin und ohne ärztliches Gespräch ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („Online-AU ohne Arzt“) beschädigt deren Beweiswert erheblich und rechtfertigt im Einzelfall die fristlose Kündigung. Die Entscheidung hat viel beachtete Wirkung für Arbeitnehmer, Arbeitgeber sowie telemedizinische Dienste im Zusammenhang mit der digitalen Krankmeldung.

Sachverhalt

  • Ein IT-Consultant nutzte im August 2024 einen Online-Dienst, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („AU ohne Gespräch“) zu erhalten. Ein Kontakt zu einem Arzt fand dabei nicht statt, lediglich der Erwerb der Bescheinigung per Klick und Zahlung war erforderlich.
  • Der Arbeitgeber wurde stutzig und überprüfte die AU. Die äußere Form entsprach einer regulären Krankschreibung, allerdings war unter der Arztadresse lediglich „Privatarzt per Telemedizin“ und deren deutsche Kontakt-E-Mail angegeben, der Name war angegeben, jedoch keine klassische (deutsche) Arztzulassung oder Praxisadresse.
  • Der Arbeitgeber kündigte daraufhin fristlos. Der Arbeitnehmer klagte vor dem Arbeitsgericht Dortmund, das ihm zunächst Recht gab. In der Berufung entschied das LAG Hamm anders und wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe und Leitsätze

a) Erschütterter Beweiswert einer Online-AU ohne Arztkontakt
Das LAG stellt klar: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach § 7 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) grundsätzlich hoch – vorausgesetzt, sie wird nach den Regeln der ärztlichen Kunst erstellt. Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie verlangt ausdrücklich eine ärztliche Untersuchung (§ 4, § 5 AU-Richtlinie). Wird die AU jedoch ohne Kontakt mit einem Arzt allein durch Online-Erwerb ausgestellt („AU ohne ärztliches Gespräch“), fehlt die Grundlage für den gesetzlichen Beweiswert
b) Verpflichtung des Arbeitnehmers zur weiteren Darlegung
Mit Vorlage einer solchen AU wird der Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess beweispflichtig dafür, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Im vorliegenden Fall genügte die pauschale Behauptung des Arbeitnehmers (er sei krank gewesen, habe spezifische Symptome gehabt und Medikamente eingenommen) dem Gericht nicht.
c) Fristlose Kündigung und Abmahnverzicht
Das LAG sah vorliegend das Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als nachhaltig zerstört. Die bewusste Erschleichung einer AU sowie die Täuschung über deren Zustandekommen rechtfertigten die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung – auch deshalb, weil es sich um eine besonders schwere Pflichtverletzung handelte und das Vorbringen des Arbeitnehmers keine besondere Notlage (z.B. Unmöglichkeit eines Arztbesuchs) begründete
d) Kein Gleichlauf mit digitaler Krankschreibung nach Arztgespräch
Das Gericht differenziert ausdrücklich zwischen einer Online-Krankschreibung nach erfolgtem Gespräch (z.B. per Video-Call) und der Ausstellung einer AU ohne jeden ärztlichen Kontakt. Letztere ist nicht vom gesetzlichen Schutz umfasst und bietet selbst dann keinen ausreichenden Nachweis, wenn sie dem „gelben Schein“ äußerlich ähnelt oder von einer ausländischen Plattform ausgestellt wurde.

Praktische Folgen

  • Für Arbeitnehmer: Die Verwendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die ohne ärztlichen Kontakt ausgestellt wurde (d.h., keine Untersuchung/Anamnese, sondern nur Online-Bestellung), ist hochriskant. Der gesetzliche Beweiswert entfällt, und eine fristlose Kündigung ist möglich.
  • Für Arbeitgeber: Sie können bei Zweifeln am Beweiswert einer Online-AU gezielt nachfragen oder Erkundigungen einziehen. Bei klarer Sachlage und Täuschungsverdacht ist eine sofortige Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglich und rechtlich haltbar.
  • Für Telemedizin-Anbieter: Es ist darauf zu achten, dass rechtssichere Verfahren stets mindestens eine ärztliche Konsultation beinhalten, um den Anforderungen nach deutschem Arbeitsrecht zu genügen.

Zusammenfassung

Das LAG Hamm hat mit seiner Entscheidung den hohen Stellenwert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Dokumentation echter Erkrankungen betont. Eine ohne ärztlichen Kontakt und nur per Online-Bestellung erlangte AU rechtfertigt die fristlose Kündigung. Arbeitnehmer tragen das volle Risiko, sollten sie auf diese Weise versuchen, Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen lassen – insbesondere, wenn Hinweise auf eine bewusste Täuschung zugunsten einer Entgeltfortzahlung vorliegen.

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