Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.06.2025 zur Frage Stellung genommen, ob ein Arbeitnehmer im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs wirksam auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann, insbesondere wenn dieser wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr genommen werden konnte. Die Entscheidung hebt die Bedeutung des gesetzlichen Mindesturlaubs hervor und stellt wichtige Klarstellungen für die arbeitsrechtliche Praxis bereit. Im Folgenden werden die Hintergründe, wesentlichen Entscheidungsgründe und praktischen Konsequenzen der Entscheidung erläutert.
Der Kläger war vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 als Betriebsleiter bei der Beklagten beschäftigt und war im Jahr 2023 durchgehend bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Die Parteien vereinbarten im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs am 31. März 2023 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zum 30. April 2023. In Ziffer 7 des Vergleichs hielten die Parteien fest: “Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.” Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub kein wirksamer Verzicht erfolgen kann, stimmte aber dem Vergleich zu. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger Abgeltung für sieben nicht genommenen Urlaubstage aus dem Jahr 2023. Die Beklagte verweigerte die Zahlung unter Berufung auf die Regelungen des Vergleichs. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt, die Beklagte legte Revision ein.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass der Kläger gegen die Beklagte gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) einen Anspruch auf Abgeltung des nicht gewährten gesetzlichen Mindesturlaubs hat. Im Mittelpunkt der Entscheidung steht dabei die Unzulässigkeit eines Verzichts auf den gesetzlichen Mindesturlaub durch Vergleich:
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Unzulässigkeit des Verzichts: Auf den gesetzlichen Mindesturlaub kann auch durch gerichtlichen Vergleich nicht wirksam verzichtet werden. Eine entsprechende Vereinbarung – selbst bei mit anwaltlicher Unterstützung geschlossenen Prozessvergleichen – ist nach § 134 BGB i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unwirksam, soweit sie den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft. Dies gilt auch für einen erst künftig, mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, entstehenden Anspruch auf Urlaubsabgeltung.
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Kein Raum für einen Tatsachenvergleich: Ein sog. Tatsachenvergleich (i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht zu unterfallen) setzt voraus, dass eine tatsächliche Ungewissheit über das Bestehen oder die Voraussetzungen des Urlaubs besteht. Im vorliegenden Fall bestand aufgrund der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers keine Unsicherheit über den Urlaubsanspruch. Ein ausschließender Vergleich war daher bereits aus diesem Grund unwirksam.
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Vorrang des Mindesturlaubs: Das Bundesarbeitsgericht betonte erneut die europarechtlichen Vorgaben (Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG) und stellte klar, dass während des bestehenden Arbeitsverhältnisses auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht – auch nicht gegen Abfindung – verzichtet werden kann.
Ausnahme: Urlaubsabgeltungsanspruch
Die grundsätzliche Unverzichtbarkeit betrifft den “in natura” zu gewährenden Mindesturlaub. Für Abgeltungsansprüche aus bereits beendeten Arbeitsverhältnissen werden hingegen Einschränkungen akzeptiert; im bestehenden Arbeitsverhältnis bleibt der Mindesturlaubsanspruch jedoch unantastbar.
Treu und Glauben und Vertrauensschutz
Ein Argument der Beklagten, sie habe auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertrauen dürfen, wies das Gericht zurück. Ein Vertrauen auf eine offenkundig rechtswidrige Vereinbarung besteht nicht. § 242 BGB (“Treu und Glauben”) schützt die Beklagte in diesem Fall nicht.
Konsequenzen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Vertragsgestaltung
a) Für Arbeitgeber
Arbeitgeber können künftig nicht (mehr) auf eine “endgültige” Erledigung von Urlaubsansprüchen durch Vergleichsklauseln vertrauen, die eine Erledigung des gesetzlichen Mindesturlaubs “in natura” behaupten oder auf einen solchen Anspruch verzichten. Im Rahmen gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleiche ist daher besondere Sorgfalt bei der Formulierung von Urlaubsklauseln geboten. Arbeitgeber sollten darauf achten, dass Klarstellungen aufgenommen werden, die den gesetzlichen Mindesturlaub ausdrücklich ausnehmen oder auf die gesetzliche Regelung verweisen.
b) Für Arbeitnehmer
Arbeitnehmer profitieren vom uneingeschränkten Schutz des Mindesturlaubsanspruchs. Ein etwaig im Vergleich enthaltener Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub bleibt auch dann unwirksam, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss des Vergleichs anwaltlich vertreten war oder dem Vergleich ausdrücklich zustimmt.
c) Für die Praxis der Vertragsgestaltung
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Vergleiche: Arbeitgeber sollten künftig bei Vergleichsverhandlungen im Arbeitsrecht die Wirksamkeit eines Verzichts auf bzw. den Ausschluss des Mindesturlaubsanspruchs stets kritisch prüfen. Entsprechende Klauseln könnten nach wie vor unwirksam sein, was zu erneuten, eigentlich bereits erledigt geglaubten Forderungen führen kann.
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Abgeltung nach Beendigung: Nach wie vor bleibt ein Urlaubsabgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Der Anspruch kann nicht vorzeitig zum Nachteil der Arbeitnehmer beseitigt werden.
Die Entscheidung des BAG bestätigt und konkretisiert die bereits strikte Haltung der deutschen (und europäischen) Rechtsprechung zum Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs. Ähnliche Grundsätze hat auch der Europäische Gerichtshof mehrfach aufgestellt. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG und Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG bilden das zentrale rechtliche Leitbild für diesen Schutz. Bereits in der Vergangenheit hatte das BAG betont, dass Abgeltungsansprüche regelmäßig nur für den der Arbeitsunfähigkeit nachgelagerten Zeitraum, also nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen konnten, nicht jedoch im Vorfeld durch Vergleichsverzicht ausgeschlossen werden dürfen.
Das Urteil des BAG vom 03.06.2025 bringt für die arbeitsrechtliche Beratungspraxis folgende wesentliche Punkte:
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Unwirksamkeit von Urlaubsverzichtsklauseln: Ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub ist sowohl während eines laufenden als auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich ausgeschlossen, wenn kein Streit über die Urlaubstage besteht. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt den Urlaub nicht mehr nehmen kann und trotz anwaltlicher Beratung einem Vergleich zustimmt.
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Verantwortung bei der Vergleichsgestaltung: Beide Parteien, vor allem Arbeitgeber, müssen bei der Formulierung von Vergleichsklauseln zur Urlaubsregelung größte rechtliche Sorgfalt walten lassen, damit keine vermeintlichen oder tatsächlich unwirksamen Verzichtsklauseln aufgenommen werden.
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Schutz des Mindesturlaubs als Leitbild: Das BAG stellt den Schutz des Mindesturlaubs erneut in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung und setzt konsequent europarechtliche Vorgaben um.