LAG Hessen: Abfindungsanspruch aus vor Insolvenzeröffnung abgeschlossenem Sozialplan ist eine Insolvenzforderung
Der Abfindungsanspruch, der bei der Insolvenzeröffnung bereits entstanden war, stellt keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar.
Der Kläger war ab 01.09.2000 bei der A AG beschäftigt, zuletzt als Personalleiter mit einem monatlichen Bruttogehalt von 5.500 EUR. Am 01./04.07.2011 hatte er mit der A AG einen Aufhebungsvertrag geschlossen, in dem es auszugsweise heißt:
„1. Die Parteien sind sich einig, dass das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen wegen Wegfall des Arbeitsplatzes zur Vermeidung einer ansonsten auszusprechenden Kündigung zum gleichen Zeitpunkt einvernehmlich am 31.03.2012 endet.
2. Herr B wird ab 04.07.2011 bis zum Vertragsende unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung noch vorhandener Urlaubsansprüche sowie Guthaben auf Arbeitszeitkonten unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
3. A zahlt Herrn B für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß Sozialplan und Interessenausgleich vom 07.12.2010 in Höhe von 21.196 EUR brutto. Die Auszahlung wird mit der Gehaltszahlung im März 2012 erfolgen.“
Am 01.02.2012 wurde über das Vermögen der A AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Stichtag 31.03.2012 hatte die Beklagte vom Insolvenzverwalter das zur nahtlosen Fortsetzung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes notwendige Betriebsvermögen unter Übernahme der Arbeits- und Dauerschuldverhältnisse und der Kunden- und Lieferverträge übernommen.
Der Kläger hatte die Ansicht vertreten, der Abfindungsanspruch sei erst nach dem Betriebsübergang am 31.03.2012 entstanden, sodass die Beklagte als Betriebsübernehmerin für den Anspruch hafte. Insofern hatte er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 21.296 EUR brutto nebst Zinsen seit dem 01.04.2012 zu bezahlen. Das Arbeitsgericht Offenbach hatte der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten führte zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das LAG Hessen betonte, dass nach ständiger Rechtsprechung des BAG die Haftung des Erwerbers eines Betriebes in der Insolvenz aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt sei. Für die Abwicklung aller Ansprüche, die zur Zeit der Insolvenzeröffnung bereits entstanden seien, sehe die Insolvenzordnung ein Verfahren vor, das von dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht sei. Soweit die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts griffen, gingen diese als Spezialregelungen vor. Damit werde sichergestellt, dass alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden. Außerdem würden Betriebsübernahmen in der Insolvenz erleichtert. Die insolvenzrechtliche Beschränkung des Eintritts der Haftung nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB betreffe danach Insolvenz-, nicht jedoch Masseforderungen (vgl. BAG, BeckRS 2013, 67325). Danach könne der Kläger von der beklagten Betriebsübernehmerin nicht die Zahlung der Abfindung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen, denn der Abfindungsanspruch, der bei der Insolvenzeröffnung bereits entstanden gewesen sei, stelle keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar. Der Abfindungsanspruch sei bei Insolvenzeröffnung am 01.02.2012 bereits mit Abschluss des Aufhebungsvertrages am 01./04.07.2011 entstanden gewesen. Auch stelle die Abfindung nach der im Aufhebungsvertrag verlautbarten Interessenlage in erster Linie eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Klägers in die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Das spreche dafür, dass diese gleichzeitig mit der Erteilung der Einwilligung, also mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages, entstehen sollte. Für dieses Verständnis spreche schließlich auch, dass die Umsetzung des Aufhebungsvertrages direkt im Anschluss an dessen Abschluss mit der Freistellung des Klägers begonnen habe.
Der Abfindungsanspruch sei auch nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs.1 Nr. 1 InsO begründet worden. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin habe seit dem 01.09.2000 bestanden. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt worden, § 108 Abs. 1 InsO. Der Aufhebungsvertrag sei am 01./04.07.2011 und damit vor Insolvenzeröffnung am 01.02.2012 zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin zustande gekommen. Werde eine Abfindungsforderung – wie hier – durch eine Vereinbarung vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, liege auch für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor.
Bei dem Abfindungsanspruch handele es sich auch nicht um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Danach seien Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Insolvenzeröffnung erfolgen muss. Mit dem Wort „für“ sei zum Ausdruck gebracht, dass es bei den gemäß § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigenden Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen nicht allein auf die vereinbarte Leistungszeit, sondern auf die Zwecksetzung ankomme. Es genüge nicht, dass die Verbindlichkeiten in der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt werden müssen. Für die Einordnung als Masse- oder Insolvenzforderung sei entscheidend, ob es sich bei der Zahlungsforderung des Arbeitnehmers um eine Leistung mit Entgeltcharakter handele. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO und aus dessen systematischem Zusammenhang mit der Regelung des § 108 Abs. 3 InsO. Grundsätzlich können nur solche Leistungsansprüche, die in einem teilweise synallagmatischen Verhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung stehen, als Masseforderung anerkannt werden, weil sie eine Gegenleistung für die der Masse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugute gekommene Arbeitsleistung darstellen. Entscheidend sei somit, ob ein Entgelt im weitesten Sinne für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet werde. Daraus folge, dass die streitgegenständliche Forderung keine Masseverbindlichkeit sei. Abfindungen seien in der Regel kein Entgelt für nach Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistungen, sondern stellen einen Ausgleich für durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehende Nachteile und/oder eine Honorierung der Zustimmung des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Vertragsauflösung dar. Der Anspruch auf eine solche Abfindung, welche vor Insolvenzeröffnung vereinbart worden sei, sei selbst dann nur einfache Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO und keine Masseschuld, wenn er erst nach Insolvenzeröffnung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe.
LAG Hessen, Urteil vom 21.05.2013 – 8 Sa 1235/12
(Quelle: Beck online)