Mobbing
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz stetig gestiegen. Die Fehlzeiten-Statistiken der Krankenkassen belegen das. Doch nicht nur Stress und steigende Arbeitsbelastungen sind die Ursache dafür, dass das Burn-Out-Syndrom zur Volkskrankheit am Arbeitsplatz wird – auch Mobbing, die tägliche Schikane, macht krank.
Rechtliche Einordnung von Mobbing
Mobbing ist weder ein Rechtsbegriff noch eine Anspruchsgrundlage, um Schadensersatz, Schmerzensgeld oder Schutz vor missgünstigen Kollegen oder Vorgesetzten zu bekommen. Die Rechtsprechung bezeichnet Mobbing als eine Vielzahl unterschiedlicher Konfliktsituationen am Arbeitsplatz, die mindestens einer der Betroffenen als gegen seine Person gerichtet und schikanös empfindet (so etwa das LAG Köln, Urteil vom 25.03.2010, Aktenzeichen 7 Sa 1127/09).
Das können Beleidigungen sein oder ständige Kränkungen, herabwürdigende Arbeitsaufträge, die nicht der Stellenbeschreibung entsprechen oder Abmahnungen, die jeglicher Grundlage entbehren. Aber nicht alles, was als Mobbing bezeichnet wird, ist von rechtlicher, insbesondere arbeitsrechtlicher und schadensrechtlicher, Relevanz.
Unter den Begriff “Mobbing” fallen rechtlich alle Verhaltensweisen, die bei objektiver Betrachtung darauf abzielen, Rechtsgüter des Betroffenen wie insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Gesundheit nachhaltig zu beeinträchtigen. Solche Verhaltensweisen können Schadensersatzansprüche auslösen, wenn sie materielle oder immaterielle Schäden verursachen.
Inzwischen ist ein deliktischer Schadensersatzanspruch wegen des sozialen Phänomens des Mobbings unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (§ 823 Abs. 1, Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) grundsätzlich anerkannt (etwa LG Erfurt, Urteil vom 17.11.2010, Aktenzeichen 3 O 1157/10). Ein solcher Anspruch setzt aber voraus, dass die Verletzung schwerwiegend ist – und das hängt von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund sowie Grad des Verschuldens ab.
Abgrenzung von Mobbing und alltäglichen Konfliksituationen
Die Gerichte grenzen Verhaltensweisen Dritter, die von einem Betroffenen als Mobbing empfunden werden, von Arbeitsplatzkonflikten allgemeiner Art ab. Die arbeitsteilige Wirtschaft bringe es typischerweise mit sich, dass am Arbeitsplatz Menschen unterschiedlicher Persönlichkeitsstruktur einem intensiven sozialen Dauerkontakt ausgesetzt sind, heißt es im Urteil des Kölner LAG. Auf Dauer sei es nahezu unvermeidbar, dass der Einzelne sporadisch und punktuell in soziale Konfliktsituationen hineingezogen werde.
Derartige Erscheinungen sind als sozialadäquat anzusehen. Es bedürfe somit der Abgrenzung solcher sozial noch gebilligten arbeitsalltäglichen Konfliktsituationen – also das folgenlose sozial- und rechtsadäquate Verhalten auf Grund einer objektiven Betrachtungsweise – von einem Mobbingverhalten, dass geeignet ist, finanzielle Ersatzpflichten auszulösen. Auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers kommt es dabei nicht an.
Die Grenze zieht die Rechtsprechung anhand eines vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Kriteriums, das auf Zeit und Dauer der Schikane abstellt und auf deren Verwerflichkeit: Nur ein systematisches Verhalten des oder der Schädiger kann einen Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt des Mobbing begründen. Voraussetzung ist, dass eine bestimmte Person fortgesetzt, bewusst und zielgerichtet angefeindet, schikaniert oder diskriminiert wird und damit sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzt werden (Urteil vom 16.05.2007, Aktenzeichen 8 AZR 709/06).
Es geht also nicht um Einzelfälle, sondern um eine Vielzahl einzelner Handlungen seitens Kollegen oder Vorgesetzten, die letztlich zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers führen.
Fürsorge- und Schutzpflicht des Arbeitgebers
Zu den arbeitsrechtlichen Pflichten eines Arbeitgebers gehört es, Arbeitnehmer vor Mobbinghandlungen durch Kollegen oder auch Vorgesetzten zu schützen. Bei der Frage, was die vertragliche Rücksichtnahmepflicht im Einzelnen gebietet, ist insbesondere auf die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidungen des Grundgesetzes abzustellen.
Danach dürfen der Arbeitgeber und seine Repräsentanten das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht verletzen. Im Falle der Verletzung hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Beseitigung der fortwährenden Beeinträchtigung und auf Unterlassung weiterer Verletzungshandlungen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.03.2010, Aktenzeichen 6 Sa 256/09).
Hier ist insbesondere der Ehrenschutz von Bedeutung, der auch den Schutz gegen unwahre Behauptungen und gegen herabsetzende ehrverletzende Äußerungen und Verhaltensweisen umfasst. Erst daraus kann sich ein Anspruch des Betroffenen auf Unterlassung der Herabwürdigung und Missachtung durch andere ergeben (LAG Hannover, Urteil vom 09.03.2009, Aktenzeichen 9 SA 378/08).
Aber: Nicht jede unberechtigte Kritik, überzogene Abmahnung oder gar unwirksame Kündigung stellt gleichzeitig auch eine Persönlichkeitsverletzung dar und führt zu einer Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2010, Aktenzeichen 6 Sa 271/10).
Beschwerderecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz (§§ 84,85 BetrVG)
Arbeitnehmer, die von Mobbing betroffen sind, haben die Möglichkeit, sich formlos beim Arbeitgeber und/oder dem Betriebsrat zu beschweren.
Die Beschwerde beim Arbeitgeber ist in § 84 BetrVG geregelt, die beim Betriebsrat in § 85. Die Beschwerde erfordert das Vorbringen eines Arbeitnehmers, mit dem dieser auf eine Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder eine sonstige Beeinträchtigung durch den Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer des Betriebs hinweist und Abhilfe des belastenden Zustands begehrt. Nach dem Gesetzeswortlaut ist außerdem erforderlich, dass der Arbeitnehmer eine eigene Beeinträchtigung rügt. Er muss sich also selbst betroffen fühlen und darf sich nicht ausschließlich zum Fürsprecher anderer Belegschaftsmitglieder machen (BAG, Beschluss vom 22.11.2005, Aktenzeichen 1 ABR 50/04).
Beschwerderecht nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 13 AGG)
Entsprechen die vom Arbeitnehmer gerügten Mobbinghandlungen Diskriminierungstatbeständen aus § 1 AGG – etwa geschlechts- oder herkunftsspezifischen Benachteiligungen – oder Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG, steht dem Betroffenen ein Beschwerderecht gemäß § 13 AGG zu. Damit hat er die Möglichkeit, sich im laufenden Arbeitsverhältnis gegen Diskriminierungen und Belästigungen zu wehren. Die Beschwerde muss hinreichende Tatsachen enthalten, um dem Arbeitgeber eine Prüfung zu ermöglichen (Zwanziger in: Kündigungsschutzrecht, AGG § 13). Die Beschwerde ist an keine Frist und keine bestimmte Form gebunden und kann daher auch mündlich oder per E-Mail eingelegt werden.
Beweislast bei Mobbing
Das Hauptproblem besteht für Betroffene darin, den Nachweis zu führen, dass sie systematisch gemobbt werden. Zwar können sie anhand eines ärztlichen Attests die Auswirkungen wie etwa psychische Belastungen nachweisen, die konkreten Ursachen aufzuzeigen erweist sich in der Praxis häufig als schwierig. Die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen, auch wenn diese einen Hinweis darauf enthalten, dass die psychische Erkrankung auf der Situation am Arbeitsplatz oder sogar auf Mobbing beruhe, ist für die Darlegung und Beweisführung weder im Hinblick auf die behaupteten Handlungen noch auf die Kausalität ausreichend, heißt es in einer Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein.
Auch pauschaler und wertender Vortrag mit Worten wie “gängeln”, “beschimpft”, “verbalen Übergriffen, Beleidigungen und massiven Drohungen” ist nicht ausreichend. Die Darlegungen müssen sich beispielsweise darauf erstrecken, dass die beanstandeten Verhaltensweisen die Gesundheitsprobleme ausgelöst haben (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.03.2010, Aktenzeichen 6 Sa 256/09).
Der Arbeitnehmer, der sich auf Mobbing beruft, muss also im Detail angeben, auf welche Weise und von wem Mobbing ausgeht. Das Schlagwort “Mobbing” alleine genügt laut einer anderen Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein nicht.
Zwar hatte der Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses wegen einer krankheitsbedingten Kündigung vorgetragen, durch eine gut dreieinhalb Jahre andauernde Mobbingsituation sowohl im engeren Kollegen- und Vorgesetztenkreis, als auch im weiteren Umfeld des Arbeitsbereichs in seiner körperlichen und seelischen Gesundheit derartig beeinträchtigt zu sein, dass eine intensive und lang anhaltende Behandlung erforderlich sei. Er hätte aufzeigen müssen, auf welche Weise er in den vergangenen Jahren an und im Umfeld seines Arbeitsplatzes gemobbt worden ist (Urteil vom 11.03. 2008, Aktenzeichen 2 Sa 11/08).
Eine Beweiserleichterung sieht § 22 AGG vor, der zur Anwendung kommt, wenn die Mobbinghandlung gleichzeitig eine Diskriminierung darstellt. § 22 lautet: Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Ausschluss- und Verjährungsfristen
Selbst wenn Gerichte die Mobbingvorwürfe als ersatzfähige schädigende Handlung einstufen, können Betroffene leer ausgehen. Sie müssen gegebenenfalls arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen (oftmals sechs Monate ab Kenntnis des schädigenden Ereignisses) beachten und ihren Ersatz- oder Schmerzensgeldanspruch rechtzeitig gerichtlich geltend machen. Die Ausschlussfrist und die Verjährungsfrist beginnen wegen der systematischen sich aus mehreren einzelnen Handlungen zusammensetzenden Verletzungshandlung frühestens mit der zeitlich letzten Mobbing-Handlung (BAG, Aktenzeichen 8 ARZ 709/06).
Beispiele – was ist Mobbing und was nicht?
1. Unhöflichkeiten
Das Gesetz verlangt keine Höflichkeiten, daher sind Geschmack- und Taktlosigkeiten für sich genommen kein Mobbing, sofern die Grenze zur Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) nicht überschritten wird. Daher stellt das „Nicht-Grüßen“ ebenso wenig Mobbing dar wie das Ignorieren von schriftlichen Anfragen (vgl. BAG, NZA 2007, NZA Jahr 2007 Seite 1154).
2. Meinungsverschiedenheiten
Den Arbeitgeber trifft die Nebenpflicht, zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers aktiv zu werden (vgl. § BGB § 241 BGB § 241 Absatz II BGB). Diese Pflicht führt allerdings nicht dazu, dass der Arbeitgeber bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitnehmern und Vorgesetzten über Sachfragen – zB Beurteilungen oder Inhalte des Direktionsrechts – eingreifen müsste. Auch die Äußerung einer fehlerhaften Rechtsansicht durch den Arbeitgeber stellt kein Mobbing dar.
3. Persönlichkeitsverletzung
Kommt es zu einer verbalen Entgleisung des Arbeitgebers resp. eines Arbeitgebervertreters gegenüber einem Personalrats- oder Betriebsratsmitglied, für die im Nachgang eine Entschuldigung erfolgt, scheidet ein Mobbingvorwurf aus. Bzgl. der Zusammenarbeit in einem Arbeitsverhältnis sowie im Verhältnis zwischen Personalrat bzw. Betriebsrat und Arbeitgeber ist zu berücksichtigen, dass es naturgemäß zu Konflikten kommt, die auch (teilweise) auf einer emotionalen Ebene ausgetragen werden.
4. Mitarbeitergespräch
Äußert der Arbeitgeber die Besorgnis eines Alkoholismus, stellt dies jedenfalls dann kein Mobbing dar, wenn der Arbeitgeber für seine Besorgnis sachliche Anhaltspunkte hat (vgl. LAG Hamm, BeckRS 2007, BECKRS Jahr 43977). Wenn der Arbeitgeber ein Trennungsgespräch führt, ist dies nicht geeignet, einen Mobbingvorwurf zu begründen, wenn der Gesprächsinhalt von einem vernünftigen Interesse des Arbeitgebers motiviert gewesen ist und das Gespräch nicht allein der Demütigung resp. Zermürbung des Arbeitnehmers dient (hierzu LAG Rheinland-Pfalz, NZA-RR 2002, NZA-RR Jahr 2002 Seite 121).
5. Abmahnungen und Kündigungen
Spricht der Arbeitgeber eine Abmahnung aus, liegt kein Mobbing vor. Dies gilt auch dann, wenn sich diese als unberechtigt herausstellt. Den Interessen des Arbeitnehmers ist dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass er eine Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen kann (vgl. BAG, NZA 2013, NZA Jahr 2013 Seite 91).
Auch der Ausspruch mehrerer unberechtigter Abmahnungen und Kündigungen und ein dauerhafter Arbeitsplatzkonflikt können nur dann den Mobbing-Tatbestand begründen, wenn die Abmahnungen offensichtlich ungerechtfertigt waren und die ausgesprochenen Kündigungen mutwillig erfolgt sind mit dem Ziel, den Mitarbeiter arbeitsunfähig erkranken zu lassen. Wenn der Arbeitnehmer seinerseits überzogene Vorwürfe erhebt, so dass beide Parteien zugleich „Täter“ und „Opfer“ sind, scheidet Mobbing aus (vgl. LAG Thüringen, NZA-RR 2001, NZA-RR Jahr 2001 Seite 347).
6. Direktionsrecht/Berichtspflichten
Kein Mobbing stellt es dar, wenn der Arbeitgeber eine Versetzung vornimmt oder sein Direktionsrecht ausübt, es sei denn, es handelt sich um schikanöses Verhalten (vgl. ArbG Duisburg, NZA-RR 2001, NZA-RR Jahr 2001 Seite 304).
Der Arbeitgeber kann den Beschäftigten qua Direktionsrecht dazu anweisen, seine täglichen Tätigkeiten zu dokumentieren. Jeder Arbeitnehmer ist im Grundsatz dazu verpflichtet, Auskunft über die von ihm geleistete Arbeit zu erteilen.