Personenbedingte Kündigung wegen Haft setzt vor rechtskräftiger Verurteilung vorherige Anhörung des Arbeitnehmers voraus
Muss der Arbeitgeber mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers rechnen, ist er regelmäßig berechtigt, personenbedingt zu kündigen. Ohne rechtskräftige Verurteilung ist nicht auszuschließen, dass sich die Annahme des Arbeitgebers als unzutreffend erweisen wird. Er muss daher vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen und insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung wegen mehrjähriger Freiheitsstrafe. Der Kläger war bei der Beklagten seit 1997 als Fahrzeugpolsterer beschäftigt. Am 23.09.2008 wurde er wegen Verstoßes gegen das BtMG zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Am 17.09.2010 wurde der Kläger vorläufig festgenommen, weil er eine „Haschisch-Plantage“ betrieben und die Polizei 18 Kilogramm Cannabispflanzen gefunden hatte. Am 24.09.2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, hierzu Stellung zu nehmen. Daraufhin erwiderte sein Prozessbevollmächtigter, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei. Mit Schreiben vom 15.10.2010 kündigte die Beklagte ordentlich aus personenbedingten Gründen. Am 17.02.2011 verurteilte das AG den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies sie ab.
Entscheidung
Das BAG hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung sei, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose seien die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt der Kündigung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch könne nur in engen Grenzen Berücksichtigung finden. Grundlage für die Prognose müsse nicht zwingend eine bereits erfolgte rechtskräftige Verurteilung sein. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen sei, dass sich die Prognose als unzutreffend erweisen werde, müsse der Arbeitgeber aber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Die Beklagte habe den Tatvorwurf gekannt und alle ihr möglichen Maßnahmen zur Klärung der möglichen Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger habe zu keiner Zeit die Straftat bestritten. Sein Prozessbevollmächtigter habe erklärt, ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung sei nicht absehbar. Aus Sicht der Beklagten sei daher eine strafgerichtliche Verurteilung sicher zu erwarten gewesen. Ungewiss sei nur das Maß der Strafe gewesen. Für deren Höhe gab es jedoch objektive Anhaltspunkte, da der Kläger im Jahr 2008 wegen eines ähnlichen Deliktes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Angesichts der erneuten Straffälligkeit noch innerhalb des Bewährungszeitraums und der Menge der gefundenen Cannabispflanzen habe die Beklagte damit rechnen müssen, dass das Strafmaß für die erneute Strafe nicht geringer als zuvor ausfallen und zudem die Aussetzung der Vorstrafe zur Bewährung widerrufen werden würde.
BAG, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 120/12
(Quelle: beck-fachdienst Arbeitsrecht – FD-ArbR 2013, 351739)