Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 29.07.2025 (11 Sa 29/25) ein aktuell praxisrelevantes Urteil zur Frage der Berechnung der Urlaubsabgeltung gefällt. Konkret geht es um die Frage, ob und inwieweit das Weihnachtsgeld bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Auszahlung nicht genommenen Urlaubs an der Bemessungsgrundlage beteiligt werden muss. Die Entscheidung setzt sich intensiv mit der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, auseinander und bietet wichtige Orientierung für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.
1. Sachverhalt und Prozessverlauf
Dem Rechtsstreit lag ein Fall zugrunde, in dem ein Arbeitnehmer nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Urlaubsabgeltung geltend machte und in die Berechnungsgrundlage auch das jährlich einmal ausgezahlte Weihnachtsgeld einbezogen haben wollte. Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen hatte die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.02.2025 – 4 Ca 24/25). Im Berufungsverfahren vertrat das LAG Baden-Württemberg die Auffassung, dass Weihnachtsgeld grundsätzlich nicht in das für die Urlaubsabgeltung maßgebliche regelmäßige Arbeitsentgelt einzubeziehen ist und wies die Berufung zurück.
2. Kernaussagen der Entscheidung
a) Maßgebliche Rechtsgrundlagen (§ 11 Abs. 1 BUrlG, Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG)
Das Gericht begründet seine Entscheidung mit einer europarechtskonformen Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG (Berechnung des Urlaubsentgelts). Danach bestimmt sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor Beginn des Urlaubs erhalten hat. Einmalzahlungen wie Weihnachtsgeld werden dabei – sofern sie nicht unmittelbar der Vergütung der Arbeitsleistung in diesem Referenzzeitraum dienen – nicht berücksichtigt. Diese Handhabung entspricht gleichermaßen der ständigen Rechtsprechung des BAG wie auch den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie.
b) Keine Einbeziehung von Weihnachtsgeld
Das LAG hebt klar hervor, dass einmal jährlich gezahltes Weihnachtsgeld, das nicht für die gewöhnliche Arbeitsleistung, sondern als Gratifikation „wegen der Betriebszugehörigkeit“ o. ä. gezahlt wird, bei der Bemessung des Urlaubsentgelts nicht zu berücksichtigen ist. Maßgeblich ist ausschließlich das laufende Arbeitsentgelt einschließlich variabler Bestandteile (z. B. Provisionen, Leistungsprämien), die im Bezugszeitraum erarbeitet wurden und der Urlaubsvertretung gleichgestellt sind. Das Weihnachtsgeld fehlt diese Qualifikation, da es nicht das Äquivalent für die im Urlaub ausgefallene Arbeitsleistung darstellt.
Das Gericht stützt sich insoweit ausdrücklich auf die gefestigte Rechtsprechung des BAG (u. a. BAG, 14.03.1966 – 5 AZR 468/65; BAG, 17.01.1991 – 8 AZR 644/89; BAG, 11.04.2000 – 9 AZR 266/99), wonach insbesondere Sonderzahlungen ohne besonderen Bezug zur Urlaubs- oder laufenden Arbeitsleistung bei der Urlaubsabgeltung außen vor bleiben.
c) Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben
Das LAG betont die Verpflichtung zur Richtlinienkonformität, verweist auf die EuGH-Urteile u.a. „Schultz-Hoff“ (20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06) und „Robinson-Steele“ (C-131/04), die allerdings alleine sicherstellen wollen, dass der Arbeitnehmer während seines Urlaubs wirtschaftlich nicht schlechter steht als während tatsächlicher Arbeitszeit. Dies verlangt jedoch nicht die Einbeziehung von Einmalzahlungen, sondern nur von Entgeltbestandteilen, die im laufenden Arbeitszeitraum typischerweise gezahlt werden und einen direkten Leistungsbezug haben.
3. Rechtliche Einordnung und Relevanz für die Praxis
a) Systematik der Berechnung von Urlaubsabgeltung
Nach der klaren Linie des LAG Baden-Württemberg sind bei der Ermittlung der Urlaubsabgeltung nur solche Bestandteile relevant, die auch tatsächlich während des Bezugszeitraums (dreizehn Wochen vor Urlaubsbeginn) wiederkehrend geleistet werden und für die der Arbeitnehmer als „Surrogat“ für entgangene Arbeitsleistung entschädigt werden muss. Provisionen, Zulagen, regelmäßige Zuschläge: ja – Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld: grundsätzlich nein.
b) Grenzen und Ausnahmen
Eine Ausnahme könnte nur bei solchen Einmalzahlungen denkbar sein, die – entgegen ihrer Bezeichnung – tatsächlich vorrangig als Leistungsentgelt für geleistete Arbeit im Referenzzeitraum gezahlt werden, wie zum Beispiel bestimmte Umsatzbeteiligungen. Beim klassischen Weihnachtsgeld ist dies jedoch nicht gegeben.
c) Konsequenzen
Für die betriebliche oder anwaltliche Praxis ergibt sich: Versuche, Urlaubsabgeltung um jährlich gezahltes Weihnachtsgeld zu erhöhen, stehen angesichts der gefestigten Rechtsprechung – erneut bestätigt durch das LAG Baden-Württemberg – kaum im Einklang mit dem geltenden Arbeitsrecht.
4. Zusammenfassung
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg, 29.07.2025 – 11 Sa 29/25, bestätigt erneut und eindeutig:
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Einmalig gezahltes Weihnachtsgeld ist bei der Berechnung der Urlaubsabgeltung nach § 11 Abs. 1 BUrlG nicht zu berücksichtigen.
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Maßgeblich ist das laufende (fixe und variable) Arbeitsentgelt im Bezugszeitraum unmittelbar vor dem Urlaubsantritt bzw. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
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Die Entscheidung steht in voller Kontinuität mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG und den vom EuGH konkretisierten unionsrechtlichen Vorgaben.